Armenien: Zwischen dem Iran, der Türkei und Aserbaidschan

Liebe Reisefreundinnen und Reisefreunde,

aus dem georgischen Norden kommend, sind wir nun in Armenien eingetroffen, jenem kleinen, aber stolzen transkaukasischen Land, das voller natürlicher Schönheit ist. Es liegt an der Grenze zwischen Europa und Asien, ein wenig eingekeilt zwischen dem Iran, der Türkei und Aserbaidschan.  Diese Lage hat den Charakter seiner außergewöhnlichen Landschaft, seiner Menschen und seiner alten christlichen Kultur geprägt. Wir freuen uns auf eine weitere spannende Etappe unserer Reise durch Mittelasien.

Die Wurzeln des Christentums sind rund um den Sewansee zu finden. Sevanavank („Schwarzes Kloster“) ist ein Klosterkomplex mit einer bewegten Vergangenheit. Bei einem Erdbeben eingestürzt, während der tatarisch-mongolischen Invasion abgerissen, mehrmals wiederaufgebaut, nur um wieder zerstört zu werden, wurde es nach 1990 wieder errichtet, allerdings an einem anderen Ort am Nordhang der Halbinsel.

Die typisch armenische Kirche ist der Einfachheit verpflichtet: Es darf keinen Luxus geben, damit nichts die Gemeinschaft mit Gott stört. Wir sind schwer beeindruckt von dieser rudimentären Kunstfertigkeit, mit der die Armenier ihre Gedächtnissteine verarbeiten, die sogenannten Chatschkars.

Der Sewansee (Schwarzer See) ist der größte Bergsee im Kaukasus. Seine Oberfläche liegt heute 1901 Meter über dem Meeresspiegel ­– das sind 20 Meter weniger als in den 1960er Jahren. Der Wasserspiegel des Sees wurde künstlich abgesenkt.

Seine Fläche ist von ursprünglich 1.262 auf heute 940 Quadratkilometer geschrumpft, die felsige Insel mit dem Kloster ist zu einer Halbinsel geworden.

Auch bei bewölktem Wetter lassen wir uns den Genuss an einer Bootsfahrt mit spektakulären Ausblicken auf die umliegende Landschaft nicht nehmen.

Auf dem Parkplatz in der Nähe des Klosters Haghpat treffen wir eine Parkwächterin der ungewöhnlicheren Sorte, die auf unnachahmliche Weise sicherstellt, dass unsere Wohnmobile der Platzordnung gemäß abgestellt wurden.

Ein Teil des UNESCO-Weltkulturerbes führt uns Jahrhunderte zurück: Das über tausend Jahre alte Haghpat-Kloster liegt in den Bergen und ist schwer zu erreichen, aber wunderschön. Wir können nicht umhin, das Gewicht der Zeit und ein starkes Gefühl der Heiligkeit zu spüren. Grabsteine mit Schlüsseln, versteckte Botschaften in unbekannten Alphabeten, himmelhohe Decken, Geheimgänge, verschlossene Türen, Böden mit dunklen Öffnungen, geheimnisvolle Rituale mit Kerzen…auch die umliegende Landschaft ist atemberaubend!

Auf den Märkten am Straßenrand werden hier allenthalben Flaschen mit Saft aus dem sehr gesunden Sanddorn angeboten. Zudem ganze Eimer voller Pilze, die hier in Hülle und Fülle wachsen. Es fällt uns schwer, diesen schönen Arrangements zu widerstehen.

Eriwan ist die Hauptstadt Armeniens, hier leben etwa eine Million Einwohner – das ist ein Drittel der Bevölkerung des Landes. Die Stadt besticht durch ihre neoklassizistische und brutalistische Architektur, breite Boulevards und zahlreiche Parks. Der Platz der Republik ist das Herz von Eriwan. Hier finden häufig Open-Air-Konzerte statt, oft begleitet von einem Feuerwerk und einem Wasserspiel aus Fontänen.

Am Abend probieren wir leckere armenische Spezialitäten und einheimischen Wein. Der gegrillte Stör ist der Renner unter den Köstlichkeiten. Wichtiger noch als die Mahlzeit selbst aber ist das gesellige Beisammensein, gemeinsam an einem Tisch.

Eine der geheimnisvollsten Sehenswürdigkeiten ist das Geghard-Kloster im Azat-Tal bei Eriwan. Seine Geschichte geht auf das 4. Jahrhundert n. Chr. zurück. Der Bau ist teilweise in den Fels gehauen, weswegen es an geheimnisvollen Ecken und Winkeln nicht mangelt. Besonders faszinieren uns die Lichtstrahlen, die von oben in das Innere des Klosters dringen und magische Szenen erzeugen. Der Komplex beherbergt eine Reihe von Gräbern und Kapellen, die herausragende Beispiele für die höchste christliche Architektur in Armenien sind.

Geghard wurde während der Raubzüge der Araber und Mongolen geplündert. Daher trägt es noch immer viele Narben der Vergangenheit. Aber diese nur scheinbaren Mäkel tun seiner Schönheit und Majestät keinen Abbruch, darüber sind wir uns allesamt einig.

Lavash, das ungesäuerte armenische Brot, wird aus Weizen- oder Roggenmehl hergestellt. Wir bezeugen mit unseren eigenen Augen, wie die dünnen Teigfladen traditionell an den Innenwänden eines holzbefeuerten Lehmofens geröstet werden. Das fertige Brot kann mit pikanten oder süßen Zutaten gefüllt, als Pizzaboden verwendet oder mit Suppen oder Aufstrichen serviert werden.
Im Vordergrund lacht uns Gata an – ein süßes Gebäck in Form von Laiben mit einer Füllung aus Mehl, Butter und Zucker. In Armenien gibt es viele Varianten, die für die jeweilige Region typisch sind.

Der antike Tempel in Garni mit seiner wunderschönen natürlichen Lage steht auf einer hohen Landzunge über einer mehrere hundert Meter tiefen Schlucht. Der Tempel des heidnischen Gottes Mithras war einst Teil eine Palast- und Festungsanlage, alle Gebäude wurden jedoch bei dem Erdbeben von 1679 zerstört. Das Heiligtum selbst wurde erst in den 1970er Jahren wiederaufgebaut. Heute ist Garni das Zentrum der armenischen neuheidnischen Bewegung, deren Anhänger wir vor Ort zu Gesicht bekommen.

Direkt hinter dem Tempel bietet sich ein atemberaubender Blick auf die gegenüberliegende „Basaltorgel“. Dieses von der Natur nachempfundene „Musikinstrument“ ist im Grunde eine Felsformation, die durch die säulenförmige Ablösung von Basalt entstanden ist, aber kein Klangkörper im eigentlichen Sinne: Dennoch glauben wir erahnen zu können, wie sie klingen würde.

Die unhörbare Melodie der „Basaltorgel“, die von hinten an uns heranzudringen scheint, bildet kurz darauf sozusagen den imaginären Soundtrack zu unserem epischen Gruppenfoto.

Wir fahren zurück in die Stadt, um etwas Kultur zu genießen.
Die Kaskaden im Zentrum von Eriwan sind einer der Orte, die man nicht verpassen sollte. An deren Fuß befindet sich der Park des armenischen Architekten Alexander Tamanyan (der auch an der Gestaltung des Gebäudes beteiligt war): Hier stehen auch die Skulpturen des kolumbianischen Bildhauers Fernando Botero („Frau, die eine Zigarette raucht“, „Römischer Krieger“, „Katze“, „Schatten“, um nur einige zu nennen). Rund um den Park gibt es zudem nette Restaurants und Cafés, in die wir mit Vergnügen einkehren.

Im Victory Park blickt eine Statue der Mutter Armeniens von einem 50 Meter hohen Sockel auf die Stadt herab. Es handelt sich um eine 23 Meter hohe Darstellung einer Kriegerin, die ein Schwert in den Händen und ein Schild zu ihren Füßen hält. Das Siegesmuseum war ursprünglich ausschließlich den Opfern des Zweiten Weltkriegs gewidmet; inzwischen gibt es dort eine große Abteilung, die sich mit den Kämpfen in Berg-Karabach von 1988 bis 1994 auseinandersetzt. Der Platz scheint aber vor allem ein Ort der Liebenden zu sein, denn hier treffen wir viele junge Paare.

Wir besuchen auch das berühmte Opernhaus von Eriwan. Bei der atemberaubenden Aufführung von Anusch können wir armenische Traditionen hautnah erleben. Mithilfe von englischen Untertiteln bleibt uns diese klassische Geschichte nicht fremd, die gewisse Parallelen zu Shakespeares „Romeo und Julia“ aufweist. Das große Orchester, das Ballett, die Chöre, die Kostüme und allen voran die Hauptdarsteller – das alles ist von absolutem Weltrang!

Eine zweite Gruppe, die anstatt der Oper eher der alternativen Kunst zugetan ist, besucht das ebenso reizvolle Puppentheater.

Heute ist der 25. Geburtstag unserer jüngsten Teilnehmerin Christine. Wir wünschen ihr noch viele glückliche Reisen in ihrem geliebten „Trucki“. Ihr wohl schönstes Geschenk ist das in Gold gewickelte Visum für den Iran. Nachdem es im Behördenstau einige Zeit festgesteckt hat, haben wir es endlich erhalten – rechtzeitig zum Geburtstag.

Armenien ist ein Land der Klöster. Obwohl es hier schier von den Sakralbauten wimmelt, verblüfft uns doch jeder einzelne durch seine besondere Atmosphäre und seinen unverwechselbaren magischen Charme. Das Noravank-Kloster wurde 1105 hoch über dem Tal erbaut und bietet einen wunderschönen Blick auf die Wände der gleichnamigen Schlucht.

Jahrhundertelang war es der Sitz eines armenischen Bischofs. Die Verteidigungsmauern wurden im 17. Und 18. Jahrhundert errichtet. Wie viele andere Bauten wurde auch Noravank 1931 durch ein starkes Erdbeben beschädigt. Von 1949 an wurde es nach und nach wieder instandgesetzt.

In Noravank leben noch immer Mönche. Fasziniert stellen wir fest, dass sie durchaus nahbar sind: Wir sprechen mit ihnen nicht nur über den Glauben, sondern auch über das ganz alltägliche Leben im Kloster.

Obwohl der Ararat auf dem Gebiet des türkischen Kurdistans liegt, bleibt er für die Armenier ein nationales Symbol.

Mit einer Höhe von 5.137 Metern über dem Meeresspiegel ist er der höchste Berg der Türkei und des armenischen Hochlandes. Er liegt in der Nähe des türkisch-armenisch-iranischen Dreiländerecks und gehörte bis zum Ersten Weltkrieg zu Armenien. Der mythische Gipfel, der schon immer die Aufmerksamkeit von Menschen aus der ganzen Welt auf sich gezogen hat, übt auch auf unsere Augen eine magische Anziehungskraft aus. Nicht selten versteckt er sich hinter Wolken. Uns war der Wettergott aber hold, und es gelang uns, einige schöne Bilder zu machen.

Südlich von Armenien befinden sich wunderschöne Berge im Grenzgebiet zum Iran und zu Aserbaidschan. In diesem schwierigen Gelände haben die armenischen Christen vor vielen Jahrhunderten das befestigte Tatev-Kloster gebaut.

Unmöglich, Tatev nicht zu besuchen! Im vierten Jahrhundert gegründet, liegt es auf einem Felsvorsprung und besteht aus einem Komplex von Kirchen und Kapellen, die von Mauern umgeben sind. Seit dem achten Jahrhundert diente es auch als Residenz der Bischöfe. Im Jahr 1931 wurde auch dieser Komplex schwer durch das Erdbeben beschädigt. Erst im einundzwanzigsten Jahrhundert begannen kostspielige Renovierungsarbeiten, die bis heute, mit Geldern aus der ganzen Welt, andauern.

Auf der Freifläche neben der Kirche steht seit über tausend Jahren einer der Schätze der armenischen Technik und Architektur – Gavazan. Die acht Meter hohe Steinsäule mit dem Kreuz an der Spitze steht auf einem drehbaren Sockel, schwankte einst bei der Berührung durch Menschenhand, kehrte aber immer wieder in ihre ursprüngliche Position zurück.

So diente sie als ausgeklügeltes Frühwarnsystem nicht nur für seismische Aktivitäten, sondern auch für weit entfernte Erschütterungen, die beispielsweise durch den Vormarsch feindlicher Truppen verursacht wurden. Leider stürzte die Säule bei dem Erdbeben von 1931 ein, ihr Drehmechanismus ist heute nicht mehr funktionsfähig.

Die moderne Seilbahn „Wings of Tatev“ verbindet das gleichnamige Kloster aus dem 10. Jahrhundert mit dem Rest der Welt. Die sechs Kilometer lange Seilbahn über die tiefe Schlucht des Vorotan-Flusses wurde 2010 von Schweizer Investoren in nur elf Monaten gebaut. In Armenien nennt man sie „Flying Tram“, sie bewegt sich bis zu 350 Meter über dem Boden. Außerdem ist sie im Guinness-Buch der Rekorde aufgeführt –  als längste Zwei-Wege-Seilbahn im Dauerbetrieb.

Ein anderes Highlight der weiteren Umgebung ist die Vorotan-Schlucht mit ihren Felsspitzen, Überhängen, Abgründen, Steilwänden, schneebedeckten Gipfeln, gewundenen Serpentinen und Bäumen, die wie winzige kleine Modelle anmuten.

Wir sagen Danke, Armenien! Wir werden zurückkommen eines Tages, das steht so gut wie fest.

Aus Armenien abzureisen, fühlt sich an, wie ein sehr altes Land, ja, die Vergangenheit selbst hinter sich zu lassen – ein sehr eindrückliches Gefühl. Nach diesem Alten, so scheint uns, kann nur etwas Neues kommen. Wir sind schon sehr gespannt, was als nächstes auf uns wartet.

Euer Team vor Ort Mirka, Gerd, Viktoria und Dima.